200 Jahre Stille Nacht – Heilige
Nacht
Die Redaktion des Pfarrbriefes in Troisdorf (www.trokirche.de) hat
ihre Weihnachtsausgabe mit nachdenklichen Beiträgen aus heutiger Zeit zu den
einzelnen Teilen der berühmten ersten Strophe entfaltet. Die AutorInnen und der
Zeichner haben sie uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt:
Juan Francisco González, 2018 |
In der Mitte der ersten Strophe von „Stille Nacht, heilige
Nacht“ steht Christus. Er ist der „holde Knabe im lockigen Haar“, er ist die
Mitte unseres Glaubens, er ist die Mitte von allem. Die Tradition der Kirche
hat das Geburtsfest des Herrn in die Mitte der Dunkelheit des Jahres gelegt. Kurz
nach der Wintersonnenwende feiert die Kirche
seit dem vierten Jahrhundert, dass Christus Licht und Erlösung
in die Welt bringt. Er gilt den Christen als die wahre Sonne, die alles Dunkle
vertreibt. Folgerichtig geschieht das Wunder der Auferstehung, die Überwindung
des Dunkels des Todes,
auch im Dunkel der Osternacht. Christus, das wahre Licht, stellt
sich somit an die
Seite aller Bedrückten, Verängstigten und Gequälten. Er ist
dabei ein versierter Redner, wie an der Bergpredigt erkennbar. Er ist feuriger
Revolutionär und Übertreter von Konventionen, vertreibt die Geldwechsler und
Viehhändler vom Tempelgelände.
Er ist gefeierter Star für alle Hungernden, wenn er Tausende mit nur fünf Broten und zwei Fischen
speist. Er ist Heilender für Kranke und Verstorbene in unzähligen
Wunderberichten und dabei einfühlsamer Zuhörer und
Mutmacher. Er ergreift dabei immer Partei für die Armen und Entrechteten.
Dabei geht er bis zum äußersten – bis zum ehrlosen
und entsetzlich schmerzhaften Verbrechertod am Kreuz. Hier ist wieder das
Dunkle entscheidend: In der Nacht von Gründonnerstag zu Karfreitag, verlassen
von allen seinen Begleitern, stellt Jesus sich seiner Sendung, die Welt zu
erlösen, und lässt sich verhaften, so dass er verurteilt und am Kreuz getötet
wird.
Diese konsequente Solidarisierung des Herrn mit
den Armen, Schwachen, Einsamen, Entrechteten, Verfolgten und Geschundenen zeigt
sich schon von Anfang an: Er wird ein kleines und schutzbedürftiges Kind, eben
der „holde Knabe im lockigen Haar“. Und dieses Kind muss nach dem Bericht der
Evangelien direkt die volle Wucht der Dunkelheit erleben: Das Lukasevangelium
erzählt von der Geburt fern der Heimat in einer Notunterkunft, das
Matthäusevangelium von der Verfolgung durch den König Herodes und der daraus
resultierenden Flucht nach Ägypten.
Unsere Kirche wird zurzeit durch die Aufdeckung von
entsetzlichen Verbrechen an Kindern und Jugendlichen in ihrer Mitte durch
Geistliche und andere Amtsträger zutiefst erschüttert. Jahrelang ist über diese
Untaten Stillschweigen gehalten worden, ja sind sie offenbar sogar bewusst von
Amts wegen ins Dunkel des Vertuschens verwiesen worden. Bei allem Entsetzen
darüber, bei aller Wut, bei allem nun notwendigen Aufarbeiten und
Sich-der-Verantwortung-stellen, das nun folgen und doch immer nur Stückwerk
bleiben muss, entsteht auch der Gedanke, dass Christus selbst an der Seite der
Missbrauchsopfer steht – er, der „holde Knabe im lockigen Haar“, mitten in der
Dunkelheit. Christus ist da, auch wenn wir es nicht vermuten und uns vorstellen
können. Er wird in der Dunkelheit der Weihnacht geboren und ist auch hier und
heute zugegen. Christus steht mitten im Leben, mitten im Leiden, mitten unter
uns.
Hermann Josef Zeyen
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