Mittwoch, 19. Dezember 2018

…HOLDER KNABE IM LOCKIGEN HAAR…


200 Jahre Stille Nacht – Heilige Nacht


Die Redaktion des Pfarrbriefes in Troisdorf (www.trokirche.de) hat ihre Weih­nachtsausgabe mit nachdenklichen Beiträgen aus heutiger Zeit zu den einzelnen Teilen der berühm­ten ersten Strophe entfaltet. Die AutorInnen und der Zeichner haben sie uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt:

Juan Francisco González, 2018

In der Mitte der ersten Strophe von „Stille Nacht, heilige Nacht“ steht Christus. Er ist der „holde Knabe im lockigen Haar“, er ist die Mitte unseres Glaubens, er ist die Mitte von allem. Die Tradition der Kirche hat das Geburtsfest des Herrn in die Mitte der Dunkelheit des Jahres gelegt. Kurz nach der Wintersonnenwende feiert die Kirche
seit dem vierten Jahrhundert, dass Christus Licht und Erlösung in die Welt bringt. Er gilt den Christen als die wahre Sonne, die alles Dunkle vertreibt. Folgerichtig geschieht das Wunder der Auferstehung, die Überwindung des Dunkels des Todes,
auch im Dunkel der Osternacht. Christus, das wahre Licht, stellt sich somit an die
Seite aller Bedrückten, Verängstigten und Gequälten. Er ist dabei ein versierter Redner, wie an der Bergpredigt erkennbar. Er ist feuriger Revolutionär und Übertreter von Konventionen, vertreibt die Geldwechsler und Viehhändler vom Tempelgelände.
Er ist gefeierter Star für alle Hungernden, wenn er Tausende mit nur fünf Broten und zwei Fischen speist. Er ist Heilender für Kranke und Verstorbene in unzähligen
Wunderberichten und dabei einfühlsamer Zuhörer und Mutmacher. Er ergreift dabei immer Partei für die Armen und Entrechteten.
Dabei geht er bis zum äußersten – bis zum ehrlosen und entsetzlich schmerzhaften Verbrechertod am Kreuz. Hier ist wieder das Dunkle entscheidend: In der Nacht von Gründonnerstag zu Karfreitag, verlassen von allen seinen Begleitern, stellt Jesus sich seiner Sendung, die Welt zu erlösen, und lässt sich verhaften, so dass er verurteilt und am Kreuz getötet wird.
Diese konsequente Solidarisierung des Herrn mit den Armen, Schwachen, Einsamen, Entrechteten, Verfolgten und Geschundenen zeigt sich schon von Anfang an: Er wird ein kleines und schutzbedürftiges Kind, eben der „holde Knabe im lockigen Haar“. Und dieses Kind muss nach dem Bericht der Evangelien direkt die volle Wucht der Dunkelheit erleben: Das Lukasevangelium erzählt von der Geburt fern der Heimat in einer Notunterkunft, das Matthäusevangelium von der Verfolgung durch den König Herodes und der daraus resultierenden Flucht nach Ägypten.
Unsere Kirche wird zurzeit durch die Aufdeckung von entsetzlichen Verbrechen an Kindern und Jugendlichen in ihrer Mitte durch Geistliche und andere Amtsträger zutiefst erschüttert. Jahrelang ist über diese Untaten Stillschweigen gehalten worden, ja sind sie offenbar sogar bewusst von Amts wegen ins Dunkel des Vertuschens verwiesen worden. Bei allem Entsetzen darüber, bei aller Wut, bei allem nun notwendigen Aufarbeiten und Sich-der-Verantwortung-stellen, das nun folgen und doch immer nur Stückwerk bleiben muss, entsteht auch der Gedanke, dass Christus selbst an der Seite der Missbrauchsopfer steht – er, der „holde Knabe im lockigen Haar“, mitten in der Dunkelheit. Christus ist da, auch wenn wir es nicht vermuten und uns vorstellen können. Er wird in der Dunkelheit der Weihnacht geboren und ist auch hier und heute zugegen. Christus steht mitten im Leben, mitten im Leiden, mitten unter uns.

Hermann Josef Zeyen

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen