Sonntag, 29. November 2015

Hände oder Fäuste – virtuell und IRL

Das Thema „Flüchtlinge“ beschäftigt uns in Sankt Augustin in unterschiedlicher Intensität und je nach persönlichem Blick schon lange. Vor einem Jahr wurde in dieser Rubrik über die „filter bubble“ berichtet. Damals wurden gerade die ersten Container in Sankt Augustin bezogen
Inzwischen gibt es in mehreren Ortsteilen größere Unterkünfte für unsere Neuen Nachbarn. In den wenigen Wochen haben sich erstaunliche Aktionen und Engagements entwickelt. Hierzu zählen ein über Facebook organisiertes Begegnungsfest, das der Polizei im Vorfeld sogar Sorgen bereitete, eine Menge von Helfern, die miteinander und nebeneinander einfach das tun, was nötig ist und eine Unmenge an Sachspenden, die aber gar nicht so einfach sinnvoll weiterzugeben sind. Es gehören aber auch Schwierigkeiten dazu, etwa der Versuch einer guten Zusammenarbeit, wo man vorher nicht viel miteinander zu tun hatte. Kompetenzfragen sind auch nicht immer leicht zu klären. Es gibt vieles mehr, das sich im Internet und Social Media widerspiegelt – oder auch andersherum?
 

Wenn man im September in eine Suchmaschine die Stichworte „Sankt“ „Augustin“ „Flüchtling“ eingegeben hat, gab es kaum einen Treffer zu einer Seite, die etwas über unsere Stadt erzählte. In der Facebook-Gruppe „Du kommst aus Sankt Augustin wenn…“ sah das schon anders aus. Knapp drei Wochen nach dem Bezug einer neuen Unterkunft haben sich hier dutzende von Mitbürgern zusammengetan. Aber in dieser Gruppe wurden auch immer wieder besorgte oder sogar fremdenfeindliche Stimmen laut, die die Moderatoren zur Aktivität zwangen. Anfang Oktober startete dann auf Initiative der Kirchen eine Homepage, die Helfer und Hilfsangebote vernetzen soll. Die erstaunlich hohen Zugriffszahlen dokumentieren den Bedarf und die Nachfrage. Und auch auf der Website der Stadt Sankt Augustin gibt es seit neuestem Übersichten und Informationen. Das Internet kann ein gutes Instrument sein, um Menschen und Kräfte zusammenzubringen. Aber es gibt auch ganz anderen Kräften Raum. Fremdenfeindliche oder heimatverbundene Plakate und Videos wirken vor tausenden Zuschauern und lösen heftige Diskussionen aus. In diesen Medien sind dann alle gefragt, aufmerksam zu sein, das Richtige zu tun, Unmögliches nicht unkommentiert zu lassen und nicht unbedacht zuzustimmen. Es müssen gute Nachrichten geschrieben und verbreitet werden. Besonders die, die einer frohen Botschaft folgen, sind hierzu aufgerufen.
Christliche Medienkompetenz und Medienengagement tut Not.

Samstag, 14. November 2015

Sich an die eigene Nase fassen

Bild aus dem Haus Völker und Kulturen, Sankt Augustin (B. Bungarten)


Auch aus Afrika drängen immer mehr Flüchtlinge übers Mittelmeer nach Europa. Mit Entwicklungshilfe versuchen wir gegenzusteuern. Warum das aussichtslos ist.

Über 800.000 Menschen werden dieses Jahr laut Innenminister Thomas de Maizière zu uns kommen. Das überrascht viele. Wir sollten uns jedoch fragen, warum diese Menschen zu uns kommen.

Mal einen anderen Blickwinkel versuchen

Die Projektwoche bietet Anlass, einmal die afrikanische Maske aufzusetzen und zu versuchen, das Problem aus einem anderen Blickwinkel zu beleuchten.
Die afrikanischen Flüchtlinge kommen meistens aus einem von zwei Gründen: Krieg oder Armut. In der Bundesrepublik wird nur der erste als Asylgrund anerkannt. Menschen, die wegen ihrer Armut fliehen, werden als „Wirtschaftsflüchtlinge“ abgeschoben. Hier verweisen die Politiker dann immer darauf, man würde ja die Fluchtursachen bekämpfen. Doch was ist die Fluchtursache? Die Antwort: Wir.
Nicht nur, dass die europäischen Staaten als Kolonialmächte die einseitige Wirtschaftsausrichtung der afrikanischen Länder verursacht haben, die nun zunehmend darunter leiden. Nein, die Europäische Union überschwemmt auch noch die lokalen Märkte mit hochsubventionierten, eigenen Produkten, die für lokal produzierte Waren eine vernichtende Konkurrenz darstellen. Damit verlieren die Bäuer*innen ihre Lebensgrundlage.

Europa nimmt Bäuer*innen die Lebensgrundlage

Ein gutes Beispiel dafür sind Geflügelabfälle. Auf dem deutschen Markt verbleibt nur die Hühnerbrust, alles andere wandert auf den anderen Kontinent. Die Abfälle sind dort so billig, dass z.B. in Ghana neun von zehn Hühnerfarmen schließen mussten.
Wenn die ghanaischen Landwirt*innen von europäischen Produkten in die Knie gezwungen wurden, haben sie im Prinzip drei Optionen: völlige Armut, Flucht nach Europa oder Piraterie. Was ist uns lieber?
Aufgrund der zunehmenden Verarmung der afrikanischen Staaten, sind sie gezwungen, sich Geld bei der EU und dem IWF zu leihen. Eine der Bedingungen dafür: Das Abschließen eines Freihandelsabkommens mit den europäischen Staaten.. Diese untersagen es den Ländern, ihre Wirtschaft durch höhere Einfuhrzölle zu schützen. Damit haben die subventionierten Produkte der EU leichtes Spiel, die Zerstörung der afrikanischen Märkte wird weiter forciert.
Auch bei den Fischern ist es kaum anders: Europäische Fischtrawler, riesige, schwimmende Fischfangfabriken, leeren die Meere vor der afrikanischen Westküste. Was die arbeitslosen, lokalen Fischer dann machen, kann man in Somalia beobachten: Piraterie feiert Hochkonjunktur.

Europa macht Afrika arm

Diese Beispiele zeigen: Für unsere Wirtschaft nehmen wir die Armut Afrikas in Kauf. Entwicklungshilfe ist wichtig und richtig, bleibt aber nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, solange sich nichts an der Exportpolitik der EU ändert.
Wenn wir nun die Maske absetzen, sollten wir in Erinnerung behalten, was uns der Blick aus der afrikanischen Perspektive gelehrt hat: Bevor wir uns über Flüchtlinge beschweren oder unsere Entwicklungshilfe bejubeln, sollten wir uns erst darum kümmern, unsere Zerstörung der afrikanischen Märkte abzustellen.

Dieser Beitrag wurde ursprünglich für die Dokumentationszeitschrift „afri:doku“ zur Projektwoche des Albert-Einstein-Gymnasiums 2015 verfasst. Leider ist er in dieser Zeitung nicht mehr zu finden. Albert Wenzel

Mittwoch, 11. November 2015

Wir dürfen es nicht zulassen ...

Gedanken von Kollege Patrick Bauer, die er bei facebook geteilt hat und die mich bewegen:

Ich weiß, dass im Moment viele sich dazu äußern und ich mit meinem Kommentar nicht all zu viele erreiche. Dennoch ein paar Gedanken, die mir durch den Kopf gehen.

Es ist Traurigkeit, die mich erfasst hat. Ich sehe jede Woche Menschen sterben und erlebe, wie Welten zusammenbrechen, weil Krankheiten Lebensentwürfe und die Zukunft von Menschen zerstören. Dann gelingt es mir Trost zu spenden und die Gefühle nicht zu nah an mich ran zu lassen. Ich habe Menschen begleitet, die gesehen haben, wie ein anderer in den Tod gesprungen ist.
Ich habe Müttern die ihr totgeborenes Kind in den Armen hielten, beigestanden und mit ihnen gesprochen und gebetet.
Nichts von all dem habe ich mit nach Hause genommen. Ich kann diese Dinge meinem Gott übergeben und in seine Hände legen.


In den letzten Tagen gelingt mir das nicht mehr. An zwei Tagen hintereinander habe mir Männer, die als Jugendliche den zweiten Weltkrieg erlebt haben, mit mir gesprochen. Beide haben mit Gewehren im Schützengraben gelegen und waren in Gefangenschaft, einer acht Jahre in Rußland. Er sagte mir folgendes:
"Ich habe so viel Scheiße erlebt, und habe wieder ins Leben zurüchgefunden. Meine Frau wurde auf der Flucht vergewaltigt und ich war bei ihr, wenn sie nachts im Schlaf geschrien hat und sie war bei mir, wenn ich meine Tasse nicht mehr halten konnte, weil meine Hände so gezittert haben. Ich bin so froh, dass ich trotzdem sagen kann, ich danke Gott für mein Leben. Wenn ich heute die Reaktionen in unserem Land auf Flüchtlinge sehe und den Fremdenhass erlebe, dann..." er wurde von Weinkrämpfen geschüttelt und ich konnte nur seine Hand halten. Einer der wenigen Momente in denen auch meine Tränen nicht zurückhalten konnte.
Der andere mann sagte zu mir: "Ich verstehe das nicht." Die ersten Tränen flossen... "Wieso machen die so was." Heftiges Schluchzen... "Das darf doch nicht noch mal passieren." erblickt mir tief in die Augen. Ich sehe die nassen Wangen und das ernste Gesicht. "niemals wieder, verstehen sie?" Ich fühle wie meine Hand ganz fest gedrückt wird.


Heute dann eine Frau. Sie ist zu Fuß gegangen, mit dem Boot gefahren, zu Fuß weitergegangen, ist in einen Zug gestiegen und wieder zu Fuß gegangen. Eine Schwester erzählt mir, dass diese Frau ihr gesagt hat, lieber hier in einem Flüchtlingsheim, als zurück in ihre Heimat. Diese Frau ist 105 Jahre alt!


Liebe Freunde, wir dürfen es nicht zulassen, neimals, dass Menschen die vor Krieg und Gewalt flüchten Angst haben müssen, wenn sie unser Land kommen. Ich will nicht, dass dieses Land ein Land des Hasses ist. Lasst Euch nicht verführen von plumpen Sprüchen brauner Ideologen.
Ich bin traurig, aber ich habe die Hoffnung, dass wir das schaffen.
Patrick Bauer