Vielleicht
geht es Ihnen so wie mir: die Worte aus dem Weisheitsbuch Kohelet habe ich
nicht zum ersten Mal gehört. Bei ganz verschiedenen Gelegenheiten waren wir
aufgefordert, uns dazu Gedanken zu machen oder sie auch anderen zu sagen. Bei
mir kommen da ganz unterschiedliche Resonanzen zum Tragen. Ich frage mich auch,
was Menschen bei der Auswahl dieses Textes in jenem Augenblick durch den Kopf
geht. Ich möchte Sie einladen, die Worte – immer wieder über die „Zeit“ - nachklingen
zu lassen, sie auszukosten.
(c) Kladu / Pixelio |
Ich teile
mit Ihnen, was bei mir heute stärker widerklingt: da ist vom Umarmen die Rede,
und vom Lösen der Umarmung. Je nach Übersetzung kann hier auch das Meiden von
Umarmung herausgehört werden. Und vom Schweigen und vom Reden, vom Worte
machen. Da kommt nach der Klage schon gleich wieder der Tanz. Ich überlege, ob
alles maßvoll – oder auch maßlos gemeint ist. Das lässt der Text offen. Und
dann natürlich auch: leben, Leben schenken, Leben geschenkt bekommen – Gebären –
und: Sterben.
Uhren takten
unser Leben – eine Uhr finden Sie auch auf dem Liedblatt. Und wenn Sie keine
Uhr als klassisches Gerät mit sich tragen, so helfen Ihnen vielleicht die
Weckzeiten auf dem Smartphone. Manchmal nerven die automatischen
Terminerinnerungen, die ich selber setze. Oder sie helfen auch. Früher gab es
in der Arbeitswelt vielfach die vermeintlich grausame Stechuhr. Aber so
schlecht war es auch nicht, dass ganz klar war, was wann dran ist. Manche Menschen
leiden heute unter der aufgelösten ständigen Eile oder dem Druck, selbst zu
steuern. Wer oder was gibt mir meinen Takt vor?
Kohelet, ob
ich ihn als Prediger der Lebensfreude oder – was vielleicht an meiner je augenblicklichen
Resonanz liegen mag – als depressiven, gleichgültigen Pessimisten höre, ordnet
jedem Geschehen seine Stunde zu. Jedem Ereignis. Oder auch: jedem Vorhaben.
Menschen leiden unter sogenannter verpasster Zeit. Die Zeit ist bestimmt – muss
sie auch ausgenutzt werden?
In meiner
katholischen Tradition klingen dann Worte an, die zur Osterkerze gesprochen
werden. Diese besondere Kerze brennt in Gottesdiensten zu besonderen Zeiten und
Anlässen wie Taufen und auch Trauerfeiern, deswegen bringen wir auch in jede
Trauerhalle auf den Friedhöfen eine solche Kerze. Beim ersten Entzünden am
Feuer draußen vor der Kirche in der Nacht zum Ostermorgen werden die Zeichen
auf der Kerze gesegnet und die Worte gesprochen: Sein ist die Zeit und die
Ewigkeit. Gott hält die Zeit in seiner Hand.
Kohelet weiß
sich und alles Geschehen eingeordnet unter den Himmel. Er akzeptiert
Endgültigkeit und nennt sie beim Namen. Aber ohne Gleichgültigkeit. Für mich
bedeutet es, dass ich mit dieser Einordnung aufgerufen und ermutigt bin, die
Augen wieder aufzurichten, aufzuschauen, den Blick zu heben, nicht
niedergeschlagen zu bleiben, sondern hinauf und über die Dinge zu blicken.
Manches
geschieht zur Unzeit. Wir kennen die richtige Zeit nicht. Es bleibt auch
unverständlich. Aber es hilft, sich in Gelassenheit zu üben. Johannes XXIII. werden
die sogenannten Zehn Gebote der Gelassenheit zugeschrieben, da heißt es unter
anderem: nur für heute werde ich mich bemühen, den Tag zu erleben. Den jeweils
neuen Tag zu erleben. Ohne alles gleich verstehen oder lösen zu wollen.
Gelassenheit
und Geduld üben. Mit mir selbst und meinen Gefühlen. Mit anderen und ihrer
Trauer. Mit guten, heilenden – und auch mit zerstörerischen Gefühlen. Das
klingt nach einer Herausforderung. Ich glaube aber, dass das für Viele eine
wichtige Erfahrung war. Und es hat nichts mit Gleichgültigkeit zu tun.
Geduld führt
zur Einfühlung; Einfühlung hilft mir und anderen, sich aus Verfangenheit zu
lösen, Vergangenheit zu versöhnen, Erlebtes – Gutes und Nichtgutes –
loszulassen. Und den neuen Tag zu erleben.
Geduld und
Einfühlung, Liebe und Wohlwollen, gemeinsam Kraft finden, Vertrauen aufbauen.
Immer wieder.
Der Beter
der Psalmen, in dessen Worte wir gleich eingeladen sind einzuschwingen, spricht
auch von Klage und von Tanz. Er legt sein Leben in seine – Gottes – Hände voll
Vertrauen. Und er findet Zuversicht.
Das Dietrich-Bonhoeffer-Haus, in dem wir zusammenkommen und uns begegnen, trägt den Namen eines Mannes,
der sich auch in ausweglos erscheinender Situation dieses nicht hat nehmen
lassen. Er hielt die Hoffnung wider alle Hoffnung aufrecht – sich selbst und
anderen. Am Ende unseres Abend hier im Kirchsaal möchte ich Sie dann einladen,
dass wir uns mit seinen vielleicht bekanntesten Worten gegenseitig seinen –
Gottes – Segen zusagen. Vielleicht haben Sie sie schon oft gesungen, in Auswahl
können wir sie uns dann gut zu sprechen.
Noch ein
letztes Wort von Kohelet: nach seiner Aufzählung der vielen Zeiten kommt noch
etwas Wichtiges: Überdies hat Gott die Ewigkeit in alles hineingelegt. Er hat
das „Immer!“ in das Herz der Menschen gegeben. Dies hat mich durch diese
Gedanken, die ich hier mit Ihnen geteilt habe, und immer wieder in meinem Leben
getragen.
Von guten Mächten wunderbar
geborgen
sei Gott mit uns
am Abend und am Morgen
und an jedem neuen Tag.
sei Gott mit uns
am Abend und am Morgen
und an jedem neuen Tag.
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